Die Trainer der 1. Damen des Neusser HV im Team-Interview

Vom krassen Außenseiter zum ernstzunehmenden Gegner – Trainer zufrieden mit überwundenen Hürden, Umgang mit Rückschlägen und Teamgeist

Am kommenden Wochenende fliegt erstmals im neuen Jahr wieder der Ball durch die Sporthallen der Teams in der Oberliga Niederrhein der Frauen. Gleichzeitig beschließt der Spieltag die Hinrunde in der Liga, die so zweigeteilt ist wie selten zuvor. Die momentan „Besten des Rests“, der Tabellenachte Neusser HV, treffen am Sonntag (15. Januar 2017, 17 Uhr) auf den Tabellenletzten HSV Solingen-Gräfrath II im Solinger Kannenhof. Neben einer prickelnden Atmosphäre, erwartet die Neusserinnen ein unberechenbarer Gegner, denn der spielfreie Drittligist wird sein akut abstiegsgefährdetes Reserveteam verstärken wollen, um sich die Chance auf den Klassenverbleib zu erhalten. Über die Erwartungen in dieser Partie, sowie über den bisherigen Verlauf der Saison, die Zusammenarbeit im Team und einiges mehr, hat sich unser Redaktionsteam mit den Trainern der 1. Damen, Co- Trainerin Kim Klause und Trainer Christian Hentschel, unterhalten.

Kim und Christian, am Sonntag stehen wir vor einem schwierigen Spiel in Solingen. Was erwartet ihr für dieses Spiel?

Kim: Ich erwarte ein sehr intensives, hartes Spiel auf Augenhöhe, auch wenn wir nicht wissen können, ob sich Solingen aus der Drittligamannschaft verstärkt. Dieser Umstand macht sie, trotz des letzten Platzes, unberechenbar. Unterschätzen werden wir sie nicht! Unabhängig davon, sollten wir versuchen die Ruhe zu bewahren, uns nicht vom Gegner beeindrucken lassen und unsere Konzepte spielen. Wille und Teamgeist werden die Partie am Ende entscheiden.

Christian: Ich gehe davon aus, dass sie sich verstärken werden! Der HSV muss punkten, um nicht vorzeitig den Anschluss zu verlieren. Wir haben dagegen weniger Druck, wollen unsere gute Hinrunde einfach positiv abrunden. Dafür bleiben wir bei unserer Devise – wir schauen auf uns, auf unser System und wenn sich die Gelegenheit auf Punkte bietet, greifen wir zu!

Vor der Saison und auch bei einigen „Ankündigungen“ in diversen Hallenheften der Gegner, wurden wir als „selbsterklärter Aufstiegsaspirant“ bezeichnet. Das sorgte für einige Lacher auf unserer Seite. Was meinst du, Christian, woher diese Annahme rührte?

Christian: Das ist schnell erklärt. Die Kaderplanung lag bis Ende April aus unterschiedlichen Gründen auf Eis. Wir wollten das Team aber noch verstärken und breiter aufstellen, um tatsächlich eine Chance auf die Qualifikation zur Nordrheinliga zu haben und sind dafür an die Öffentlichkeit gegangen. Klar, dass man dann nicht mit der Zielstellung „Klassenerhalt“ wirbt, sondern mit der höheren Liga. Das haben Außenstehende und andere Vereine als Zielsetzung von uns gedeutet und dabei die tatsächliche Entwicklung außer Acht gelassen oder nicht erfahren. Intern war uns – Trainer und Team – sehr schnell klar, dass es erneut ausschließlich um den Ligaerhalt geht und dass es knallhart für uns wird!

Der aktuelle Tabellenplatz sieht uns im Mittelfeld auf Rang 8. Mit neun Punkten auf der Habenseite und der Chance am Wochenende die Hinrunde zu vergolden und den Abstand zum Abstiegsplatz auf zehn Zähler zu erhöhen. Seid ihr denn auch zufrieden mit dem bisherigen Saisonverlauf und der Leistungsentwicklung?

Christian: Der aktuelle Tabellenstand ist eine schöne Momentaufnahme. Für das Wohlbefinden der Mannschaft wohl wichtiger als für mich. Da setze ich andere Kriterien an, betrachte und bewerte die Umstände und die Entwicklung. Nur so viel – ich bin mit unserem gemeinsamen Weg als Team einverstanden! Der war bis jetzt ziemlich steinig und hätte Anlässe geboten, um als junge Mannschaft auseinanderzubrechen. Wir haben das nicht getan, uns eine positive Grundhaltung bewahrt und uns gegenseitig vertraut. Das stimmt zufrieden. Sportlich haben wir uns von einem krassen Außenseiter, zu einem ernstzunehmenden Gegner entwickelt. Es macht Spaß zu sehen, wie ihr unser Spielsystem mehr und mehr versteht und die Möglichkeiten auszunutzen versucht! Das ist manchmal aber noch fragil, weshalb wir weiterhin gemeinsam Verbesserungen und Stabilität finden sollten. Dann wird vielleicht aus der schönen Momentaufnahme, ein gutes Saisonergebnis.

Kim: Das Team und mich macht der aktuelle Tabellenplatz schon zufrieden, denn so weit oben standen wir schon lange nicht mehr. Es gibt uns einfach ein gutes Gefühl. Mit unseren bisherigen Leistungen dürfen wir wohl überwiegend auch zufrieden sein, wenn man den dünnen Kader berücksichtigt, der nur an den Wochenenden mit A-Jugendlichen verstärkt wird. Wir konnten in der Hinrunde schon den einen oder anderen, stärkeren Gegner ärgern und haben in den anderen Spielen die „wichtigen“ Punkte geholt. Dass wir dafür als Team zusammengerückt sind, nach den Rückschlägen, finde ich auch besonders erwähnenswert.

Kim, du wirst als „spielende Co-Trainerin“ beschrieben. Und tatsächlich warst du zu Saisonbeginn noch nicht in der Mannschaft. Warum hast du nicht von Beginn an gespielt bzw. wie kam es zu deiner Co-Trainertätigkeit?

Kim: Eigentlich sollte ich nach meiner Knieverletzung (Sommer 2015, Anm. d. Redaktion), nach ärztlicher Meinung, besser die Handballschuhe an den Nagel hängen. Das war sehr bitter für mich. Als Christian dann vom Athletiktrainer zum Coach der 1. Damen wurde, kannte er meine Situation und fragte mich, ob ich stattdessen Lust hätte auf die Co-Trainertätigkeit. Er sagte mir, dass es für ihn wichtig sei, weil ich ja seit vielen Jahren mit den Spielerinnen zusammenspiele, sie kenne und ich so weiterhin bei der Mannschaft sein kann, was die Situation vielleicht abmildern konnte. Ich habe nach kurzer Überlegung zugesagt und war zunächst auch zufrieden. Es hat aber immer in den Fingern gejuckt und weil sich mein Knie eigentlich nicht mehr bemerkbar macht, bin ich langsam und in ständiger Absprache mit Christian, wieder ins Training eingestiegen. Ehrlich – das macht natürlich viel mehr Spaß und mittlerweile darf ich auch wieder spielen. Aber trotzdem fülle ich die Co-Trainerrolle weiterhin gerne aus.

Christian, welche Aufgaben übernimmt Kim für dich und die Mannschaft. Was schätzt du an der bisherigen Zusammenarbeit?

Christian: Seitdem sie wieder spielt, macht sie mir eher Arbeit als dass sie etwas übernimmt… (lacht) Das war natürlich nur ein Spaß! Auf den ersten Blick, auch für das Team, wird es vielleicht gar nicht so sichtbar. Neben der Unterstützung bei administrativen Dingen rund ums Team, ist es aber vor allem die emotionale „Vermittlung“. Sie hilft mir Dinge einzuordnen und zu bewerten, die ich als Mann ansonsten vielleicht überbewerten oder ignorieren würde. Und anders herum bin ich mir sicher, dass sie es genauso macht. Sie sorgt für ein Gleichgewicht im Team und ist dabei in beide Richtungen absolut loyal und vertrauenswürdig. Das ist für eine so junge und noch aktive Spielerin gar nicht so einfach. Das zeugt von ihrem guten und gefestigten Charakter! Darüber hinaus sind wir sportlich und menschlich auf einer Wellenlänge. Es macht einfach Spaß mit ihr zusammenzuarbeiten! Und ja, ich bin auch glücklich, dass sie der Mannschaft momentan wieder aktiv auf dem Feld helfen kann!

Und du, Kim?

Kim: Das, was Christian zu unserer Zusammenarbeit gesagt hat, kann ich auch anders herum bestätigen. Besonders schätze ich an ihm, dass er mich trotz seiner viel größeren Erfahrung, immer nach meiner Meinung fragt und ich das Gefühl habe, dass es für ihn von Bedeutung ist und berücksichtigt wird. Das macht dann einfach Spaß!

Christian, wie würdest du dich als Trainer beschreiben? Du bist ja erst seit dieser Saison in Neuss, sodass dich vielleicht einige noch nicht so kennen?

Christian: Ich soll mich selbst beschreiben? Das wird ja eine glaubwürdige „Referenz“ (lacht). Vielleicht beginnt zunächst mal Kim und ich versuche das dann zu ergänzen oder „gerade“ zu rücken.

Kim: Die Zusammenarbeit mit Christian war besonders zu Beginn für die Mannschaft eine Umstellung. Er wirkt ja eher ruhig, zeigt viel Geduld und Verständnis, weist die Spielerinnen nicht ständig und nicht immer konkret an, was einen zunächst auch frustrieren kann, weil man es anders gewohnt ist, weil man an manchen Stellen ein „Donnerwetter“ erwartet. Wenn man sich aber mehr und mehr mit den Dingen beschäftigt, wie und was er uns sagt, besonders im Training, versteht man, dass es kein Selbstzweck ist und uns auf besondere Weise fordert und fördert. Seine momentane Art sorgt andererseits für einen nötigen Ruhepol in unserem jungen Team. Als Co- Trainerin weiß ich, dass Christian zwar auch kurzfristigen Erfolg haben möchte, also in jedes Spiel mit dem Ziel zu gewinnen geht und an Niederlagen lange knabbert, er aber auch bereit ist Risiken einzugehen, wenn er davon überzeugt ist, dass es uns mittel- und langfristig eher helfen wird, besser und erfolgreicher zu werden. Ihm ist darüber hinaus wichtig, dass die Spielerinnen nicht nur seine Konzepte spielen, sondern sie verstehen, wann und warum sie die spielen und was sie bewirken. Da ist er in Details sehr akribisch, lässt uns aber immer wieder Freiräume selbst Ideen einzubringen oder Dinge auszuprobieren. Obwohl er bereits einige Titel und Meisterschaften mit seinen vorherigen Teams gewonnen hat, glaube ich, dass er die Herausforderung mit uns lebt. Zumindest spürt man seine hohe Motivation und das Engagement für uns.

Christian: Kim hat offenbar gut beobachtet und bisher gut hingehört… Da gibt es nicht viel zu ergänzen oder zu korrigieren. Tatsächlich unterscheide ich mich von meinen Kollegen in der grundsätzlichen Spielidee nicht wesentlich. Kreativ, schnell, aktiv-dominant. Wenige Auslösehandlungen, mit kreativen Folgehandlungen, eine aktiv-antizipative Defensive als Zielstellung. Das ist alles nicht neu und wird sich bei vielen Trainern als Antwort auf ihre Spielidee finden. Die Basis ist immer eine gute und konzeptionell geleitete Trainingsarbeit. Der Unterschied liegt vielleicht in der Art und Weise, wie ich die Ziele zu erreichen versuche und da spielt der „Kopf“ der Spielerinnen für mich eine zentrale Rolle, den ich durch mein Coaching aktivieren und ständig herausfordern möchte. Ich möchte gar nicht mit Details langweilen, die einen Abend füllen könnten und nötig wären, um das Thema hinreichend zu erläutern und nur Stichwörter nennen, die dahinter stecken: Selbstwirksamkeitskonzept, intrinsische Motivation, Verantwortlichkeit, Authentizität. Vereinfacht gesagt – ich möchte mit dem Team im Training die Werkzeuge erarbeiten, mit viel Korrektur und Erklärung, im Spiel möchte ich aber nur noch die Strategien und teilweise Taktiken bestimmen, die optimale Spielerzusammensetzung finden. Meine Spielerinnen sollen sich dagegen voll auf die Situationen einlassen können, erkennen, bewerten und immer bessere Entscheidungen treffen. Das verlangt gegenseitiges Vertrauen. Es gilt auch Freiheiten auszuhalten und verantwortungsvoll damit umzugehen, wofür es klare, wenn auch wenige Regeln gibt.
Ungemütlich kann ich allerdings auch werden, wenn Spielerinnen das Vertrauen auf und außerhalb des Spielfeldes missbrauchen, nicht aufrichtig sind, nur mit halbem Herzen dabei oder ihr eigenes Ego vor das Team stellen. In solchen Fällen bin ich kompromisslos und handlungsschnell. Glücklicherweise musste ich bei unserem Team noch nicht „ungemütlich“ werden.

Á propos Teamgeist – wie empfindet ihr den Zusammenhalt im Team? Was schätzt ihr an der Mannschaft besonders und welches Erlebnis hat sich in eure Erinnerung gebrannt?

Kim: Wir sind im Kern ja schon seit mehreren Jahren zusammen und kennen uns dadurch sehr gut und machen viel außerhalb des Spielfeldes gemeinsam. Trotzdem war der Beginn dieser Saison nicht einfach für uns, mit den vielen Niederlagen und Rückschlägen. „Aller Anfang ist schwer“, passt da ganz gut als Überschrift. Das hat uns aber noch mehr zusammengeschweißt. Wir sind nicht auseinander gebrochen, sondern immer wieder aufgestanden und haben uns durchgekämpft. Ein deutliches Zeichen für den positiven Zusammenhalt ist für mich auch, dass Annika immer wieder aus Münster zu den Spielen anreist, um uns weiterhin zu unterstützen und wir die A-Jugendlichen so gut aufnehmen und integrieren.

Christian: Das Erste, was ich von der Mannschaft hörte, bevor ich euch übernommen hatte, war – das ist kein Team. Da macht jede, wenn es schwierig wird, ihr Ding. Die gönnen sich untereinander nichts. Und ich habe auch erst einmal kein Team vorgefunden. Gute Typen, die auch miteinander feiern konnten – aber kein Team. Das, was Kim bereits sagte, kann ich bestätigen. Statt aufzugeben, haben wir die Schwierigkeiten genutzt, um als Team zu wachsen, weshalb ich mittlerweile sagen kann – Ja, wir haben einen guten Teamprozess! Gute Typen, mit immer größer werdendem Zusammenhalt und Charakter. Deshalb schätze ich auch keine bestimmte Eigenschaft oder erwähne ein besonderes Erlebnis mit euch, sondern bin gerade einfach sehr glücklich wie ihr euch zusammen und jede Einzelne entwickelt und eure Rollen fürs Ganze findet und mit Leidenschaft ausfüllt.

Und wie lautet die Zielstellung über die Saison hinaus? Was wünscht ihr euch für die Mannschaft?

Christian: Es ist kein Geheimnis, dass wir das, was in der vergangenen Saison oder in den vergangenen Jahren versäumt wurde, gerne korrigieren möchten. Wir wollen die Mannschaft breiter aufstellen. Zunächst aus den eigenen Reihen, sprich der A-Jugend, aber auch mit externen Verstärkungen. Darüber hinaus wollen wir unser Spielsystem erweitern, weiter verfeinern und effektiver machen, um in der kommenden Saison – hoffentlich – in der Oberliga eine gute Rolle spielen zu können. Gleichzeitig müssen wir das Team ums Team breiter aufstellen und die Rahmenbedingungen für euch verbessern und konkurrenzfähig machen! Das ist bereits in der Planung und hoffentlich auch schnell in der Umsetzung. Das ist auch das, was ich uns als Mannschaft wünsche, neben der Rückkehr unserer Verletzten, weil besonders ihr das verdient hättet!

Kim: Dem kann ich mich nur anschließen! Es wäre toll, wenn wir unseren Kader so aufstellen könnten, dass neue Ziele möglich werden, als ständig um den Klassenerhalt zu spielen. Persönlich wünsche ich mir, dass wir im Kern so zusammenbleiben, die A-Jugendlichen dazu kommen und die eine oder andere den Weg zu uns findet und uns verstärken möchte.

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